Stillen von Neugeborenen

Bekanntermaßen wird das anfängliche Stillerlebnis von der Betreuung während der Geburt und den Gepflogenheiten im Krankenhaus beeinflusst. Stress bei der Entbindung und in den ersten Stunden und Tagen des Wochenbetts kann sich auf den Zeitpunkt der Laktogenese II (sekretorische Aktivierung oder "Milcheinschuss") und den langfristigen Stillerfolg auswirken. Die sekretorische Aktivierung, die als Beginn der eigentlichen Milchbildung definiert ist, wird durch die Abnahme von Progesteron ausgelöst, wobei die Milch etwa zwei bis drei Tage nach der Geburt einschießt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Brust vollständig ausdifferenziert und funktionsfähig und es stellt sich ein Gefühl der „Brustfülle“ ein. Mütter, bei denen der Milcheinschuss später stattfindet (> 72 Stunden), haben im Vergleich zu Frauen mit früher einsetzender Milchbildung das Risiko einer verkürzten Stillzeit.
Medela Ratgeber: Stillinitiierung im Krankenhaus

Risikofaktoren für eine verspätete Drüsenaktivierung

Bestimmte biologische Faktoren wie der Body Mass Index (BMI), eventuelle Erkrankungen von Mutter und Kind, Geburtsgewicht, Gestationsalter, Form von Brust und Brustwarze, Angst und Stress können das anfängliche Stillerlebnis beeinflussen und gegebenenfalls die Laktogenese II verzögern. Zudem können bestimmte Risikofaktoren bei der Entbindung und während des Krankenhausaufenthalts die Laktation auch langfristig negativ beeinflussen, wenn nicht schon früh im Wochenbett gezielt gegengesteuert wird.

Zu den Einflussgrößen bei der Entbindung zählen:

  • Kaiserschnitt
  • Dauer der Wehen
  • hohe Cortisolwerte bei Mutter und Fötus
  • Wehenmittel

Zu den Einflussgrößen während des Krankenhausaufenthaltes zählen:

  • Zeitpunkt des ersten Anlegens
  • Häufigkeit des Anlegens
  • Verwendung von Schnullern
  • Unterstützung durch das soziale Umfeld
  • Motivation zum Stillen
  • Saugvermögen und Temperament des Babys

Diese Punkte können sich während der Wehen, der Entbindung und im Wochenbett als echte Herausforderung erweisen. Um sie zu meistern und ihr Neugeborenes stillen zu können, benötigt die Mutter gegebenenfalls die frühzeitige Unterstützung durch eine medizinische Fachkraft.

Früher Stillbeginn

Es gibt übereinstimmende Hinweise auf bessere Stillergebnisse bei Neugeborenen, die unmittelbar nach der Geburt direkten Hautkontakt zu ihrer Mutter haben und innerhalb der ersten Lebensstunde gestillt werden. Dies verringert auch die Wahrscheinlichkeit einer verspäteten sekretorischen Aktivierung und führt zu einer Verbesserung der Milchbildung sowie einer längeren Stilldauer. Es ist daher wichtig, dass die Mutter unmittelbar nach der Geburt – noch im Kreißsaal – ihr Baby auf die Haut gelegt bekommt und ihr die Gelegenheit zum Stillen gegeben wird. Es wird empfohlen, Mutter und Kind in den ersten Stunden nicht zu trennen. Sofern keine medizinischen Gründe vorliegen, sollte das erste Anlegen nicht unterbrochen werden.

Auch nach einem Kaiserschnitt kann das Neugeborene der Mutter mit direktem Hautkontakt auf den Oberbauch oder die Brust gelegt werden. Mütter, die per Kaiserschnitt entbinden, brauchen meist Unterstützung vom Pflegepersonal oder vom Partner, um das Baby richtig zu positionieren.

Wenn das Neugeborene von der Mutter getrennt werden muss und in der ersten Lebensstunde nicht gestillt werden kann, sollte in der ersten Stunde nach der Geburt abgepumpt werden. Bei Müttern, die in der ersten Stunde abpumpen, setzt die Milchbildung früher ein, sie stillen länger und haben mehr Milch als Mütter, die erst später mit dem Abpumpen beginnen.

Häufiges Stillen

Häufiges Stillen ist wichtig, damit eine ausreichende Milchmenge gebildet wird, das Baby nach der Geburt möglichst wenig Gewicht verliert und seine Bilirubinwerte sinken. Mütter, die ihr Baby in den ersten zwei Lebenswochen häufiger anlegen, produzieren erwiesenermaßen mehr Milch als seltener stillende Mütter. Bei Müttern, die abpumpen müssen, stellt sich durch häufiges Abpumpen ein ähnlicher Effekt ein.

Junge Mütter sollten deswegen dazu ermuntert werden, das Baby bei jeder Stillmahlzeit beidseitig anzulegen. Neugeborene trinken normalerweise acht bis zwölf Mal pro Tag an der Brust. Der Abstand zwischen den Stillmahlzeiten beträgt dabei durchschnittlich zwei bis drei Stunden, wobei dies von Kind zu Kind stark variiert. 

Betreuung im Krankenhaus

Es wird empfohlen, das Personal zu schulen und evidenzbasierte Stillrichtlinien einzuführen. Dazu gehören Richtlinien, die die Bedeutung des Stillens bekräftigen und das Stillen nach Bedarf, Rooming-in, unterbrechungsfreie Zeiten an der Brust und den Einsatz standardisierter Stillmanagementmethoden bei Schwierigkeiten seitens der Mutter oder des Babys fördern. Zudem sollte der Einsatz von Schnullern und Ergänzungsmitteln vermieden werden, sofern keine medizinische Indikation vorliegt. Wichtig bei der Entlassung ist die weitere Unterstützung durch den Kontakt zu einer Stillberaterin.

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